August 25, 2024

Tiefgründig & berührend: der Roman „Phlox“

Roman Phlox

August 25, 2024

In seinem Roman “Phlox” erzählt Jochen Schmidt die Geschichte von Richard Sparka, der sich auf eine Reise in die Vergangenheit begibt. Der Aufenthalt in einem fiktiven, kleinen Dorf im Oderbruch wird zur Erinnerung, nicht nur an die eigene Kindheit, sondern auch in die weniger idyllische Vergangenheit dieses Dorfes und seiner Bewohnerinnen und Bewohner. Der Protagonist Sparka, vertraut aus dem Vorgänger „Zuckersand“, forscht, sinniert und erinnert sich im geliebten Sommerparadies seiner Kindheit und Jugend, wo er beim Ehepaar Tatziet, das so viel Lebensfreude versprühte, endlos dahinschlendernde Sommerferientage verbrachte.

Er reist mit seiner eigenen kleinen Familie an, denn es ist die letzte Gelegenheit, bevor das Grundstück an einen Autohändler verkauft und aus der Sommerlandidylle ein Biker-Inn für Motoradfahrer wird. Bevor alles verschwindet, forscht er noch einmal dem Glück dieses Ortes nach, setzt sich mit den Erinnerungen und den Veränderungen seines Lebens auseinander und reflektiert über die Menschen, die sein Leben geprägt haben.

Die Idylle trügt

Was zunächst idyllisch erscheint, färbt sich immer dunkler bis ins Schwarze und Böse hinein. Sobald Schmidt die Kriegs- und Fluchterlebnisse aufgräbt, die Überlebensumstände der Einwohner und derer, die dort landeten, tauchen die Wirklichkeiten von Naziherrschaft, russischen Besatzungsgräueln und DDR-Diktatur auf.  Einerseits möchte Richard festhalten am goldenen Schein der Idylle, am Sommerglück, an der Lebensfreude, andererseits ist er ehrlich genug, um sich einzugestehen: Diese oder jene Person, die eine Lichtgestalt in seiner Kindheit war, hat möglicherweise auch Abgründiges in ihrem Leben erlebt, gedacht oder getan. Schmidt flicht dabei sehr geschickt geschichtliche Hintergründe und deren alltäglichen Auswirkungen ein.

Ebenso geschickt ist die Wahl des Titels: Bei „Phlox“ handelt es sich um eine wohlriechende Pflanze aus der Familie der Sperrkrautgewächse, bekannt für ihre Widerstandsfähigkeit und Blütenpracht. Die Pflanze symbolisiert Richards Bemühungen, trotz aller Widrigkeiten weiterzumachen und das Beste aus seiner Situation zu machen. Sie wird zu einer Metapher für sein Leben, das Bemühen, Ordnung und Schönheit inmitten des Chaos zu schaffen.

Nominiert für den Deutschen Buchpreis

Der Roman ist eine Erkundung der Themen Erinnerung, Vergänglichkeit und der Suche nach Identität. Schmidts Fähigkeit, das Banale und Alltägliche auf eine tiefgründige Weise darzustellen, mit einer Mischung aus Humor und Melancholie, macht diesen Roman so besonders, dass er für den Deutschen Buchpreis nominiert wurde. Mit präzisem, lakonischem Stil und einem scharfen Blick für Details gelingt es dem Autor, die Innenwelt seines Protagonisten darzustellen. Schmidt hat ein Talent dafür, das Banale auf tiefgründige Weise darzustellen.

Der detailreiche Schreibstil ermöglicht es dem Leser, tief in die Gedanken- und Gefühlswelt des Protagonisten einzutauchen. Die Beschreibungen der Landschaft des Oderbruchs und der Atmosphäre des Hauses der Tatziets sind lebendig und fesselnd. Die Erinnerungen sind detailliert beschrieben, sodass der Leser tief in die Atmosphäre dieser Zeit eintauchen kann.

Das Buch ist trotz aller Sprach- und Erzählkunst keine leichte Lektüre: In mäandernden Sätzen lässt der Autor Vergangenheit und Gegenwart ineinanderfließen, ein Gedanke führt zum nächsten. Richard Sparka ist ein vielschichtiger Protagonist, dessen Reise durch die Vergangenheit den Leser auf eine emotionale Achterbahnfahrt mitnimmt. Die anderen Charaktere, wie das Ehepaar Tatziet und Richards Familie, sind ebenfalls gut ausgearbeitet und tragen zur Tiefe und Authentizität der Geschichte bei. Die Interaktionen zwischen den Charakteren sind realistisch und spiegeln die Komplexität menschlicher Beziehungen wider.

Im Alltag das Besondere finden

Schmidt meistert die Kunst, tiefe menschliche Emotionen und Erinnerungen in eine reiche, detaillierte Prosa zu verweben. Der Roman zeichnet sich durch feine Beobachtungsgabe und scharfsinnigen Humor, die tiefgründige Charakterentwicklung und die lebendige Darstellung der ländlichen Landschaften aus, die eine fast spürbare Nostalgie hervorrufen. Die Geschichte ist eine Reflexion über die Kunst, im Alltag das Besondere zu finden.

“Phlox” ist ein berührendes Werk über Erinnerungen, Familie und die Suche nach dem eigenen Ich. Jochen Schmidts Fähigkeit, die Sehnsucht und die Komplexität menschlicher Beziehungen darzustellen, macht diesen Roman zu einem empfehlenswerten Leseerlebnis für alle, die tiefgründige, hochwertige Literatur schätzen.

                                                                                                                                                                  Ingo Thiel

Phlox

Jochen Schmidt

C.H. Beck

Taschenbuch, 479 Seiten, 18 Euro

ISBN: ‎ 978-3406822360

https://www.chbeck.de/schmidt-phlox/product/33864906

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