So war das auch bei uns, als wir zuletzt im Herbst 2018 Venedig besuchten. Dabei hatten wir ein ganz besonderes Buch im Reisegepäck, ein Geburtstagsgeschenk meiner Tochter, das allerbeste Dienste erwies. Es bietet Venedig-Kennern die Chance, Neues kennen zu lernen, und denjenigen, die die Stadt noch nie besucht haben, die Möglichkeit, einen ganz besonderen Blickwinkel aufzutun. Denn der Titel des Werkes „Weinbars in Venedig“ ist Programm.
Die berühmte Rialtobrücke von Venedig.
Cornelia Schinharl und Beat Koelliker laden zu einem kulinarischen Spaziergang ein und bieten dazu noch Original-Rezepte. Natürlich hatten wir uns auf unseren Besuch in der Lagune vorbereitet, denn an nur einem Tag sind nicht alle die im Buch aufgeführten 25 Weinbars zu besuchen – geschweige denn, dass überall vom Rebensaft gekostet werden könnte.
Kulinarischer Spaziergang
Mit dem 192 Seiten starken Buch unter dem Arm starteten wir also unsere Erkundung, verließen das Venedig der Touristen und durchbrachen die unsichtbare Mauer, die ins Venedig der Venezianer führte. Die Weinbars, die „Bacari“, sind – zu normalen Zeiten -–dafür verantwortlich, dass alles besprochen werden kann, vom Nachbarschafts-Klatsch bis zur hohen Politik. Anwälte und Arbeiter, Studenten und Hausfrauen treffen sich im und vor dem Lokal, konsumieren das „Ombra“ genannte Glas Wein, das es in einfachster Form oftmals schon für ein oder zwei Euro gibt, und erfreuen sich an kleinen Leckerbissen.
Einige der allesamt verlockend wirkenden Weinbars hatten wir uns im Vorfeld herausgesucht. Vorbei an all den Sehenswürdigkeiten am Rialto, Cannaregio, San Marco, der Strada Nova und im vornehmen Osten zwischen Rialto und San Marco ging es in Gassen, die – so schien es – noch niemals zuvor ein Tourist betreten hatte. Zwar beinhaltet das Buch handgezeichnete Karten, dennoch gestaltete sich die Suche nach den „Bacari“ mehr als einmal als schwierig, zumal wir die vom Verlag angebotene kostenlose App „Weinbars in Venedig“ komplett ignoriert hatten. Aber es gab ja Hilfe, denn wir waren im Venedig der Venezianer.
Die ältere Frau, die nach dem morgendlichen Einkauf mit entsprechenden Tüten völlig ausgelastet war, verstanden wir zwar angesichts bestenfalls rudimentärer Italienisch-Kenntnisse nicht, nachdem wir ihr die aufgeschlagene Seite des Buches gezeigt hatten, doch ihre Handbewegungen ließen uns die richtige Richtung einschlagen. Und siehe da: Nach drei, vier Abzweigungen standen wir plötzlich am Ziel der Sehnsüchte, das uns prompt mit einem schmackhaften Ombra belohnte.
Die Osteria All‘Arco
Eines unserer ersten Ziele war die Osteria All’Arco (Calle Arco, San Polo 436). Vier kleine Tische auf der Gasse vor dem Lokal begrüßten uns, im Inneren wartete eine Theke mit einer exquisiten Wein-Auswahl. Vater Francesco und Sohn Matteo servieren zudem eine Vielzahl kleiner Crostini und Häppchen. Einmal wöchentlich wird die Friteuse angeworfen, um frischen Fisch zuzubereiten. Am Samstag gibt’s zudem rohen Fisch – mit Salz und Olivenöl. Hier könnte man lange verweilen, zumal allen Sprachproblemen zum Trotz auch Unterhaltungen möglich sind.
Aber es gibt ja an der Lagune noch viel mehr zu sehen. Die Osteria Bancogiro – ebenfalls im Bezirk Rialto gelegen – gehört dazu. Wobei: Ohne unser Buch hätte ich diesem Lokal wohl gar keine Aufmerksamkeit geschenkt. Gut, dass wir es getan haben. Nicht nur des Weines wegen, sondern auch eingedenk der Köstlichkeiten, die vom nahe gelegenen Fischmarkt geholt und dann zubereitet werden.
Die Trattoria von San Marco
San Marco war unsere nächste Station. Und dort die Trattoria Da Firoe (Calle delle Botteghe, San Marco 3461). Vater Sergio, Sohn David und Tochter Lisa bieten ein reichhaltiges Wein-Angebot an. Bei den Cichetti, den kleinen Häppchen zum Wein, gibt es besondere Spezialitäten, deren Verzehr womöglich einige Überwindung kostet. Das gilt für dünn geschnittene Milz mit Olivenöl, Pfeffer und Salz, ebenso wie für die „Nervetti“, Sehnen mit eingelegten Zwiebelchen. Aber: Die Trattoria bietet in den hinteren Räumlichkeiten auch ein klassisches Restaurant. Krebse und Tintenfische sind ebenso im Angebot wie Fleischgerichte.
Höhepunkt der Kneipentour
Der Höhepunkt unserer Kneipentour indes wartete östlich von Rialto. Das abendliche Ziel hieß Enoiteca Mascareta (Calle Lunga S. Maria Formosa, Castello 5183). Hier ist Wirt Mauro Lorenzon die Attraktion des Lokals, das bei unserem Besuch mehr Restaurant als Weinbar war, was sich aber nach 22 Uhr ändern soll. Kaum hatten wir unsere (reservierten) Plätze eingenommen, da sahen wir Lorenzon im farbenfrohen Gewand auch schon hinter der Theke wuseln. Angeblich soll er jede gewünschte Flasche Wein öffnen, um ein Glas davon auszuschenken. Das beinhaltet für den Wirt natürlich ein Risiko, denn der von ihm angebotene Rebensaft gehört ganz gewiss nicht in die Billig-Kategorie.
Gleiches gilt für die Mahlzeiten, die aber ihr Geld wert sind. Fisch- und Fleischgerichte, Schinken und Käse – hier lässt sich richtig venezianisch kosten. Und Lorenzon sorgt, während seine angestellten Kellner sich um die Gäste bemühen, beinahe beiläufig für Unterhaltung, wirkt mit seiner Harlekin-Kopfbedeckung wie aus einer Burleske entstiegen. Ja, das war ein gelungener Ausklang.
Rezepte zum Nachkochen
Das Geburtstagsgeschenk der Tochter hatte seinen Sinn voll und ganz erfüllt. Die Autoren indes machen darauf aufmerksam, dass weder ihre Weinbar-Auflistung, noch die wundervoll illustrierten Rezepte Anspruch auf Vollständigkeit erheben. Können sie auch gar nicht, denn die Zahl der Bacari in Venedig ist kaum zu zählen. Die Tour mit dem Buch in der Hand aber bietet dem Kenner tatsächlich etwas Neues und dem Novizen einen spannenden Einblick in das wirklich wahre Leben der Stadt, die zur Zeit gänzlich ohne Touristen dasteht und sich die ersten Kreuzfahrtschiffe zurück sehnt. Und wer glaubt, niemals nach Venedig zu kommen, der kann zumindest gedanklich dank des Buches ein wenig in diese so oft besungene Stadt reisen und ihre Gerichte nachkochen.
Übernachtungstipp: Best windows
Erwähnt sei in diesem Zusammenhang auch noch eine überraschend entdeckte Übernachtungsmöglichkeit. Gebucht hatten wir eigentlich im Hotel „Antico Panada“, nicht weit vom Markusplatz entfernt. Dort aber wurden wir zu einer Dependance des Hauses gebracht. Wir staunten nicht schlecht, denn die „Best Windows“ machen ihrem Namen alle Ehre. Sie befinden sich im Herzen von Venedig in einem Gebäude, das 1498 vom italienischen Architekten Codussi entworfen wurde. Es befindet sich direkt über dem wunderschönen Torre die Mori mit der astronomischen Uhr, einem der Wahrzeichen Venedigs und eines der historischen Elemente, die zur Harmonie und Schönheit des Markusplatzes beitragen.
Und das Beste: Unser wunderschön möbliertes De-Luxe-Doppelzimmer im dritten Stock des Hauses mit der Anschrift Piazza San Marco 144, das allerdings nur über eine recht steile Treppe zu erreichen ist, hatte Fenster. Vielleicht die schönsten der Stadt, denn unser Blick auf den Markusplatz und vor allem den Dogenpalast war sensationell. Besonders teuer war das übrigens überraschenderweise nicht. Wer direkt die „Best Windows“ bucht, der kann ein Doppelzimmer schon für rund 100 Euro pro Nacht bekommen. Dass das Frühstück dann im Antico Panada, rund 150 Meter von den besten Fenstern entfernt, eingenommen werden muss, tut nicht weh.
Infos: Cornelia Schinharl/Beat Koelliker: Weinbars in Venedig. Verlag Gräfe und Unzer. 192 Seiten, 19,90 Euro.
Unterkunft: www.bestwindowsvenice.com/de
Text: Dirk Kröger, Fotos: Claudia Emrich