März 26, 2024

Kreuzfahrt auf den Großen Seen: Zwischen Wildnis und Metropolen

Kreuzfahrt auf den großen Seen

März 26, 2024

Die Nacht war kühl, frühmorgens bedecken noch feine Tautropfen die Reling. Am nahen Ufer dampfen die Wälder genauso wie der Kaffee im Becher auf dem Außendeck der HANSEATIC inspiration, die langsam durch die Georgian Bay gleitet. Im Tagesprogramm wird die Mittagstemperatur für heute mit 24 Grad angegeben. Perfekt, denn kühle Nächte und warme Tage sind Voraussetzung für den Indian Summer, die Verwandlung der Laub- und Mischwälder an der oberen Ostküste Nordamerikas. Durch kalte Polarluft, die auf warme Luftmassen trifft, bekommen die Bäume Frühlingsgefühle und nehmen die bereits eingestellte Zuckerproduktion wieder auf.

Dadurch wird in den Blättern das grüne Chlorophyll abgebaut, zurück bleiben gelbliche Carotinoide und der Farbstoff Anthocyan, der für kräftiges Rot sorgt. Die geradezu furiose Verfärbung des Laubs zeigt ein Farbspektrum, wie es nirgendwo sonst zu finden ist, der Farbteppich der Wälder spiegelt sich im Wasser und entlang des Ufers glüht es in knalligsten und tiefsten Tönen: zitronenfarben bis goldorange, von Karminrot bis zu bläulich-purpurnen Tupfern. Dazwischen flammendes Scharlachrot, als hätte ein Riese Fackeln in die Wälder gesteckt. Das Grün der Nadelbäume wirkt dagegen so beruhigend, als ob es verhindere, dass die Flammen auf den gesamten Wald übergreifen.

Kreuzfahrt auf den großen Seen
Im Indian Summer ist die Kreuzfahrt auf den großen Seen am schönsten.

Kreuzfahrt auf den großen Seen

Die staunenden Passagiere sind sich nicht nur der Schönheit der Natur, sondern der Besonderheit der gesamten Reise bewusst. Denn nur eine Handvoll Kreuzfahrtschiffe hat überhaupt die Voraussetzungen, um auf den Großen Seen fahren zu dürfen. Die Schleusen, die über Kanäle die Großen Seen verbinden, sind relativ klein und schmal. Der Kanal wird von 21 Brücken gekreuzt. Nur wenige bieten die für große Schiffe erforderliche Durchfahrthöhe, die anderen sind Klapp- oder Hubbrücken, über die Güterzüge bis zu zwei Kilometer Länge fahren. So wird es für die Passagiere, aber auch die Nautiker auf der Brücke, spannend, als die HANSEATIC inspiration die Niagarafälle umschifft, durch den 43 Kilometer langen Welland-Kanal mit seinen acht Schleusen, der Erie- und Ontariosee verbindet.

Schleusen sind die Herausforderungen

Für die Nautiker um Kapitän Jörn Gottschalk ist das trotz aller Routine hochkonzentrierte Manövrierarbeit, denn die HANSEATIC inspiration ist 22 Meter breit und die schmalste Schleusenkammer gerade mal 24 Meter: „Es ist nichts Besonderes mal gegen die Schleusenwand zu stoßen und an den seitlichen Scheuerleisten kommt es da schnell mal zu Kratzern. Aber wir müssen exakt reinkommen, denn bei Wind kann das Schiff gewaltig an die Vormauer gedrückt werden und große Beulen an kritischen Bauteilen wie dem Bug möchte man unbedingt vermeiden.“

Neben oftmals auftretenden Winden warten noch weitere Herausforderungen: „Die Schleuse 4 mit ihren drei aufeinanderfolgenden Becken ist besonders schwierig zu fahren. Denn davor ist ein Kraftwerk, das für Strömungen sorgt und den Bug herumdrückt, was es komplizierter macht, im richtigen Winkel hineinzufahren.“

Schleuse im Welland-Kanal.

   

Kein Problem für die HANSEATIC inspiration

Die HANSEATIC inspiration wurde extra so gebaut, dass nichts über die Bordwand hinausragt, denn es darf nichts überstehen, um eine Einfahrterlaubnis für die Großen Seen zu bekommen. Deshalb hängen die Rettungsboote innen über den Decks, selbst die Brückennock ist angelegt und der Waschwagen für die Außenreinigung von Fenstern und Bordwand wird vor dieser Fahrt abgebaut. Bei Schleusenmanövern steht je ein Offizier auf den Brückennocks, das Schiff wird vom Kommandostand an backbord per Hand gesteuert. Eine Digitalanzeige kurz vor dem Schleusentor zeigt an, wie viele Meter es noch bis zur computerberechneten Idealposition des Schiffes zum Schleusentor sind.  Dort fahren gigantische Saugnäpfe aus der Wand und fixieren die HANSEATIC inspiration bis das Schiff auf dem gewünschten Wasserstand ankommt und das Tor passieren kann. Der gesamte Vorgang wird fachkundig von der Brücke kommandiert, denn mit dem langjährigen Hapag-Kapitän Thilo Natke ist ein hochkarätiger Lektor an Bord.

Kreuzfahrt auf den großen Seen
Die HANSEATIC inspiration von Hapag-Lloyd Cruises. Foto: Christof46, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons

Unendliche Wasserfläche

Aber nicht nur die Schleusen sind schwierig zu fahren, das gesamte Revier ist nautisch extrem anspruchsvoll, darum sind auf der gesamten Route mehr als ein Dutzend einheimische Lotsen an Bord. Die Großen Seen, die bis auf den Lake Michigan die Grenze zwischen den USA und Kanada bilden, stellen eine scheinbar unendliche Wasserfläche dar – bei keinem der fünf Seen kann man das gegenüberliegende Ufer sehen. Der drittgrößte, Lake Michigan, hat mehr Fläche als die Benelux-Staaten zusammen, der Größte, Lake Superior, mehr als Österreich – es ist das größte Süßwasser-Reservoir der Erde. 3,8 Milliarden Liter Wasser täglich werden allein von der Stadt Chicago entnommen. Auf diesem Binnenozean kann es sehr stürmisch werden, mit bis zu zehn Meter hohen Wellen, 1905 sanken während eines Sturms 29 Schiffe. Aber auch in moderneren Zeiten bleibt das riesige Gewässer gefährlich: Gordon Lightfood erinnert in seiner Ballade über die „Edmund Fitzgerald“ an den Schiffbruch des Frachters, der 1975 auf dem Lake Superior 29 Menschen das Leben kostete.

172 Passagiere an Bord

Vom Wasser aus ist die gesamte Region touristisch noch nicht sehr erschlossen, so Kapitän Lauterbach: „Die Infrastruktur hier ist nicht auf Kreuzfahrtschiffe ausgelegt. Aber das ist auch das Gute, wir fahren dahin, wo nicht viele hinkommen.“ So nutzen selbst US-Amerikaner die Gelegenheit, um mit der HANSEATIC inspiration die Großen Seen zu befahren. 172 Passagiere aus deutschsprachigen Ländern, aber auch einige internationale Gäste sind an Bord. Und Lauterbach hat sich auf dieses Revier noch gründlicher vorbereitet als auf andere Fahrtgebiete: „Ich habe mir alle Unterlagen meiner ersten Reisen noch mal genau angeschaut. Die eigenen Aufzeichnungen sind für mich am gründlichsten und helfen auch Transitzeiten besser zu berechnen.“  Zum ersten Mal war der erfahrene Kapitän, der seit mehr als 20 Jahren für Hapag Lloyd Cruises fährt, im Jahr 2011 mit der Columbus auf den Großen Seen unterwegs.

Nationalparks und Wildnis

Die nördlichen Regionen um die Großen Seen sind wesentlich dünner besiedelt als die südlichen. Dort befinden sich Nationalparks, unendliche Waldgebiete und urwüchsige Wildnis, mehr als 40 Prozent der Fläche an den Großen Seen sind reine Natur. Das ist die eine Seite, die andere: pulsierende, faszinierende Städte. Denn die Großen Seen bilden eine Klammer zwischen Natur, der Kornkammer sowie den Industriestädten, in denen die Stahl-, Eisenbahn- und Autobarone ihre Fabrikanlagen aufbauten und die großen Finanzimperien der USA entstanden.

Die Georgian Bay wird von den US-Amerikanern oft als sechster See bezeichnet. In diesem 200 Kilometer langen und 80 Kilometer breiten Nebengewässer des Lake Huron, liegen die 30.000 Inseln im Parry Sound. Die kleinen Schäreninseln aus Granit sind seit 2004 UNESCO-Biosphären-Reservat. Sie bilden die weltweit größte Ansammlung von Süßwasserinseln, von kleinen Felsen bis hin zu dicht mit Wald bewachsen Eilanden. Hierhin kommt man nur mit kleinen Booten oder dem Wasserflugzeug. Auf Annehmlichkeiten wie Strom, Leitungswasser und Telefonanschluss muss man verzichten. Gerade dieses Leben nahe der Natur jedoch ist es, was viele Großstadtbewohner aus Toronto oder Montreal suchen. Sie genießen ihre Insel als Oase der Ruhe und sitzen abends bei Kerzenlicht vor dem Kaminfeuer oder auf der Veranda ihres Ferienhauses.

Leuchttürme aus Holz

In Killarney, der winzigen Gemeinde am anderen Ende der Georgian Bay, die im Wesentlichen aus Ferienhäusern und einem großen Resort besteht, sind die Passagiere nach wenigen Gehminuten mitten in der Natur. Rund um den und durch den 1.500 km² großen Killarney Wildpark führen zahlreiche Wanderwege, die auf Hügel mit wunderbarer Aussicht auf die Küste oder zu historischen Holzleuchttürmen führen. Am besten ist die Gegend aber mit Kajaks erkundbar, die beim Resort zur Leihe bereit liegen. Auf der Baie Fine, einem der größten Süßwasserfjorde der Welt, und weiteren Dutzenden kilometerlangen Wasserwegen paddeln einige Passagiere mitten in den Indian Summer.

Kutschfahrt auf Mackinac Island.

 

Im Land der achtspurigen Freeways, Drive-Ins und Drive-Throughs mag man kaum glauben, dass es so etwas gibt: eine knapp zehn Quadratkilometer große, komplett autofreie Zone in einem voll besiedelten Gebiet und trotzdem rund vier Millionen Gäste pro Jahr. Mackinac Island mit seinen rund 500 Einwohnern liegt am Ostrand der schmalen Durchfahrt, die den Lake Huron mit dem Lake Michigan verbindet. Das „Juwel der Großen Seen“ ist wegen seiner vielen pittoresken Holzhäuser aus dem 19. Jahrhundert eines der beliebtesten Ausflugsziele der USA. Seit 1898 sind private Autos auf der Insel verboten. Der Verband der Kutscher hatte erfolgreich protestiert, dass die Pferde dadurch erschreckt würden. Dabei blieb es bis heute, die einzigen Autos gehören Polizei und Inselarzt. Und dem Eiland ein Landesrekord: Die rund um die Insel führende M 185 ist der einzige Highway der USA, auf dem es noch nie einen Autounfall gab. Mittlerweile steht die gesamte Insel unter Natur- sowie Denkmalschutz und Dutzende Kutscher verdienen nach wie vor prächtig an fußfaulen Touristen.

Milwaukee gilt als Hauptstadt der Deutschen

In Milwaukee, nach Chicago die zweitgrößte Stadt am Lake Michigan endet die Reise mit einem Übernachtungsaufenthalt. So bleibt viel Zeit, um die Metropole an der Mündung der drei Flüsse Milwaukee, Menomonee und Kinnickinnic zu entdecken, die von französischen Pelzjägern und -händlern genutzt wurden, um ihre Felle zu verschiffen. Milwaukee gilt als Hauptstadt der Deutschen, die in die Neue Welt auswanderten. Darunter waren viele, die nach der missglückten Bürgerlichen Revolution von 1848 flohen und sozialistische, gewerkschaftliche und demokratische Ideen in die USA brachten. Dementsprechend war der Organisationsgrad der Arbeiter hier schon immer sehr hoch. Noch Anfang des 20. Jahrhunderts gab es 14 deutsche Tageszeitungen, von denen allerdings nach dem 1. Weltkrieg nicht eine einzige übrigblieb.

Weiteres Relikt aus der alten Heimat ist die Brautradition, wobei heute nicht die großen Marken „Schlitz“ und „Pabst“ dominieren, sondern Kleinbrauereien, in deren Kellern das Craft Beer gärt, welches an den Theken ausgeschenkt wird. Die Third Street wurde komplett mit Gaslaternen und Kopfsteinpflaster umgestaltet und erinnert mit Mader´s Restaurant, Usingers altem Wurstladen mit mehr als 70 Sorten, dem German Brat House sowie der Beer Hall an die deutschen Einwanderer.

Abstecher ins Harley-Museum in Milwaukee.

Für Harley Davidson-Fans

Einen Besuch wert ist auch die Traditionsmarke Harley Davidson, die Kult-Motorräder werden seit mehr als einem Jahrhundert vor den Toren der Stadt montiert. Das interaktive Museum, das in einer alten Brauerei untergebracht ist, erfreut nicht nur Motoradfreunde. Die größte Sehenswürdigkeit ist aber das Milwaukee Art Museum, denn die architektonische Konstruktion mit riesigen Flügeln des spanischen Architekten Calatrava ist einzigartig. Wenn das Museum täglich um 10 Uhr öffnet, entfalten sich diese Flügel per Elektronik lautlos zu voller Größe, um sich abends zur Schließung wieder sanft an das Gebäude anzuschmiegen.

Das Milwaukee Art Museum.

 

Text & Fotos: Ingo Thiel

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